Plenarrede: Abschaffung Optionszwang

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Grötsch, der vorliegende Antrag ist genau das, was Sie einfordern: ein konstruktiver Beitrag zu dieser gesamtgesellschaftlich wichtigen Debatte. Nur weil der Antrag von der Opposition kommt, trauen Sie sich nicht, ihm zuzustimmen, obwohl Sie inhaltlich nichts dagegen gesagt haben.

(Rüdiger Veit [SPD]: Was glauben Sie, was wir uns alles trauen!)

Ihnen, lieber Herr Kollege Brandt, kann ich nur sagen: Ich hoffe, dass viele Menschen, die aus der Türkei stammen, schon jahrzehntelang in unserem Land leben und längst integriert sind, Ihre Rede nicht gehört haben. Denn mit dieser Rede würden Sie diese Menschen in die Hände von diesem Herrn Erdogan treiben, den Sie hier immer wieder zitieren, wenn Ihnen hinsichtlich der Türkei etwas nicht passt. Mit dieser Rede haben Sie keinen Beitrag dazu geleistet, dass sich diese jungen Menschen endlich zu diesem Land bekennen. Insofern kann ich Ihnen sagen: Sie können viel von Frau Özoğuz lernen, der ich im Übrigen eine glückliche Hand wünsche, weil sie viel mit Ihnen zu tun haben wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Das glaube ich auch!)

Ich weiß zudem nicht, woher Sie die Zahl von 98 Prozent nehmen, die Sie hier genannt haben. Ich würde gerne wissen, ob die 98 Prozent, die angeblich freiwillig die – in Anführungszeichen – „Heimatstaatsbürgerschaft“ aufgegeben haben, dies gerne getan haben oder durch den Optionszwang dazu gezwungen waren.

Verehrte Damen und Herren, ich gehöre vermutlich zu den wenigen Menschen in diesem Hohen Hause, die sich in ihrem Leben die Frage nach ihrer Staatsangehörigkeit gestellt haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe ich 1989 im Gegensatz zu Ihnen nicht per Geburt, sondern in einem bewussten Schritt angenommen, weil ich von der deutschen Wiedervereinigung beeindruckt war. Die friedliche Revolution und der Mauerfall waren für mich, der hier in Berlin an der Mauer groß geworden ist, ein wichtiges Signal. Ich wollte für diese Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Ich stehe hier heute mit zwei Staatsbürgerschaften vor Ihnen, und ich sehe da gar keine Probleme hinsichtlich der Loyalität. Aber Sie können das natürlich anders sehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Glauben Sie mir: Diese Entscheidung war keine einfache. Ich fragte mich: Verrate ich meine Herkunft? Was werden meine Eltern, meine Freunde, meine Bekannten sagen oder denken? Als Politiker sage ich Ihnen: Dies beschäftigt mich immer noch. Denn ich frage mich immer noch, warum wir junge Menschen, die in diesem Land geboren, aufgewachsen und heimisch sind, immer wieder vor diese Frage stellen.

Deshalb, liebe SPD, haben wir keine Zeit, auf eine Regierungsvorlage zu warten. Sie haben im Wahlkampf auf den Marktplätzen und Straßen versprochen, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht steht. Diesen Anspruch haben Sie aufgegeben. Bleiben Sie doch wenigstens Ihrer eigenen Forderung, das Optionsmodell abzuschaffen, treu. Sorgen Sie dafür, dass die jungen Menschen, die tagtäglich zwangsweise ausgebürgert werden – nach einer Information der Bundesregierung sind es bereits über 200 junge Menschen –, ihre beiden Staatsbürgerschaften zumindest so lange behalten können, bis Ihr neues Gesetz gilt.

In diesem Sinne appelliere ich an Ihre Vernunft: Springen Sie über Ihren Schatten. Lassen Sie an einer so wichtigen Stelle das Spiel zwischen Opposition und Regierung sein, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und unserem Antrag zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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