Eine Reform am Athleten vorbei

Mehr Medaillen möchte Innen- und Sportminister De Maizière und deshalb legt er nun gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, dem höchsten Gremium des deutschen Sports, eine Spitzensportförderreform vor, die genau das und nichts anderes als Ziel benennt. Demensprechend geht es nicht um die Hauptpersonen des Spitzensports, die Athlet*innen und Trainer*innen, sondern nur um vergangene und zukünftige Erfolge in Edelmetall.

Die Schöpfer des Eckpunktepapiers, in dem die Reform beschrieben ist, beteuern zwar stets, es gehe um Potentiale und um individuelle Förderung mit Athlet*innenfokus, aber die inzwischen veröffentlichten Förderkriterien sowie das Eckpunktepapier selbst sprechen eine andere Sprache. Da ist z.B. der Ausbau der Dualen Karriere mit 4,6 % gewichtet, obwohl seit Jahren bekannt ist, dass fehlende berufliche Perspektiven und Möglichkeiten, Spitzensport mit Ausbildung, Beruf oder Studium zu vereinbaren, im Übergang aus dem Jugendbereich zu hohen Drop-Out-Quoten junger Talente führt. Die Duale Karriere ist also eines der wichtigsten Instrumente, Spitzensportler*innen zu befähigen, ihrem Sport nach Schulabschluss überhaupt weiterhin nachzugehen. Im Papier sind zur Dualen Karriere lediglich Wünsche zu erkennen, ein klares Konzept fehlt. Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen zugunsten von Spitzensportler*innen findet sich in keinem Bewertungskriterium. Sportler*innen direkt besser zu unterstützen, indem die Mittel der Sporthilfe vom Bund bezuschusst werden und die monatliche Unterstützung für Athlet*innen, die derzeit bei durchschnittlich ca. 275 Euro liegt, einfach mal verdoppelt werden kann, findet sich ebenfalls nirgends. Das aber könnte neben der Dualen Karriere für die Sportler*innen selbst und damit für den gesamten Spitzensport und infolge auch für die Ergebnisse auf internationalen Wettbewerben die entscheidende Stellschraube sein. Wo der Athlet*innenfokus bleibt, wenn Athlet*innenbeteiligung in Verbänden sich mit 0,86 % Gewichtung in der Bewertung der Förderwürdigkeit von Sportarten niederschlägt, ist auch offen. Ob deutsche Funktionär*innen in internationalen Gremien sitzen, ist immerhin doppelt so wichtig.

Am entscheidendsten, ob eine Sportart oder Disziplin zukünftig Gelder bekommt, und wenn ja wie viele, sind aber schlicht Zahlen aus Ergebnislisten Olympischer Spiele und Weltmeisterschaften, die wirr miteinander verrechnet werden. Insgesamt schlagen diese Erfolge mit 18,75 Prozent für die Bewertung zu Gewicht, wobei festzuhalten ist, dass die Errechnung der Ergebnisse sehr willkürlich ist. Ein einfaches Beispiel: Zweimal Bronze im Hockey gibt für die Ergebnisse von Rio volle Punktzahl (10), einmal Gold und einmal Vierter ergäbe, wenn andere Nationen Doppelsiege erzielt hätten nur 6 Punkte. Ebenso willkürlich sind die Kriterien Leistungs- und Entwicklungspotenzial, denn wer soll auf Basis welcher Maßstäbe beurteilen, welche zukünftigen Medaillen gewonnen werden? Dass in manchen Sportarten Erfolge in einem von Doping und Manipulation durchsetztem internationalen Umfeld kaum möglich sind, ohne selbst auch zu manipulieren und es wenigstens schlicht unfair ist, an einer möglicherweise betrügenden Konkurrenz gemessen zu werden, sollte gar nicht erwähnt werden müssen, ist aber angesichts der offensichtlichen Ignoranz dieser Tatsache dennoch zu betonen. Und was passiert eigentlich, wenn Sportarten nachträglich Medaillen erhalten – wie es derzeit nach den Spielen von Peking und London pausenlos passiert? Werden so entgangene Förderung über Jahre hinweg nachbezahlt? Der absurde Druck, die diese willkürlichen Kriterien auf Sportler*innen ausüben, ist leicht vorstellbar. Aber die Tatsache, dass Sportminister de Maizière vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Süddeutschen einen Journalisten aufforderte „Nennen Sie mir einen Sportler, der ohne Leistungsdruck spitze ist“, zeugt ja davon, wie so eine Denkweise fern von Sportler*innen etwas entstehen kann.

Trainer*innen, die Akteure des Spitzensports, auf deren Arbeitsleistung das gesamte Spitzensportsystem des Landes aufbaut, finden sich im Konzept ab der zweiten Hälfte: Nicht gerade Priorität. Zu begrüßen sind die geplanten Verbesserungen in der Ausgestaltung von Verträgen, die aktuell häufig unzulässige Kettenverträge sind. Auch eine transparente Anpassung des Gehalts sowie konsequentes Umsetzen von Arbeitszeitrichtlinien sind bitter nötig. Diese Vorhaben müssen jedoch auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden und nicht als Wunschkriterien neben Medaillenforderungen stehen. Bei genauerem Hinsehen geht es in der Trainerthematik dann ohnehin eher um die Frage, ob Rahmentrainingskonzepte auf allen Ebenen schön umgesetzt werden und inwiefern die Spitzenverbände ihre Trainer*innen in alle möglichen Ebenen herunter beaufsichtigen. Keine Rede ist von der Arbeit von tausenden Heimtrainer*innen, die nebenbei bemerkt in weiten Teilen ehrenamtlich erfolgt, von Betreuungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen und schon gar nicht davon, dass es Ziel von Verbänden und Vereinen sein müsse, Trainer*innen ein möglichst gutes Arbeitsumfeld mit guten Rahmenbedingungen zu bieten, damit diese sich in Ruhe auf die Arbeit mit ihren Athlet*innen konzentrieren zu können.

Es gibt noch zahlreiche weitere Kritikpunkte an diesem Papier, das der Durchbruch in ein neues Spitzensportzeitalter sein soll. Zu nennen wären z.B. die massiven Eingriffe in die Autonomie der einzelnen Verbände und ihrer einzelnen Einheiten, sowie der Stützpunkte und das DDR-Style-anmutende Nachwuchsfördersystem, das unzählige Fragen aufwirft. Hier einige Aspekte dazu, die bei der Bewertung der Förderwürdigkeit der Sportarten bzw. Disziplinen vollkommen fehlen: Inwiefern tritt ein Verband bzw. eine Disziplin aktiv gegen Korruption und Doping in den eigenen Reihen ein, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Mobbing? Gibt es Strukturen, die vor Missbrauch schützen? Gibt es positive Anreize für Umweltfreundlichkeit und nachhaltiges Wirtschaften? Werden Fairness, Respekt und Solidarität gefördert und gelebt? Und inwiefern haben die jeweiligen Sportarten gesellschaftliche Relevanz und positive Auswirkungen auf den Breitensport? All diese Aspekte wären relevant für die so schützenswerte „Integrität des Sports“, die die Bundesregierung inzwischen mit zwei Gesetzen bzw. einem Entwurf (Anti-Dopinggesetz und Gesetz gegen Sportwettbetrug und Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe) bewahren möchte. Dass sich von der Integrität des Sports aber kaum in diesem Entwurf der Spitzensportreform wiederfindet, ist nicht nur eine Schande, sondern vor allem fatal für die die Zukunft eines glaubwürdigen Spitzensports.

Medaillen um jeden Preis sind zumindest aus unserer Sicht nicht förderwürdig. Hier wird ein Bürokratiemonster geschaffen und der Breitensport sowie etliche Sportarten links liegen gelassen. Das können und wollen wir in der Form nicht akzeptieren.

Der Gastbeitrag erschien im Causa-Debattenportal des Tagesspiegels: https://causa.tagesspiegel.de/eine-reform-am-athleten-vorbei.html

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