Gastbeitrag von Özcan Mutlu für den Berliner Tagesspiegel über Köln und die Reaktionen
Die menschenverachtenden Übergriffe in der schlimmen Silvesternacht im Kölner Hauptbahnhof widern mich an. Nicht nur als Ehemann und Vater einer Tochter, auch als aktiver Teil einer freiheitlichen Gesellschaft, für die es selbstverständlich ist, sich gegen jede Form von Gewalt und Ungleichbehandlung einzusetzen.
Die Verbrecher müssen mit der Härte unseres Strafgesetzes konfrontiert werden. Jede Form von sexualisierter Gewalt ist kein Kavaliersdelikt und ist mit nichts zu entschuldigen. Unser Staat muss sicherstellen, dass alles lückenlos aufgeklärt wird und die Täter schnell bestraft werden. So etwas darf sich nicht wiederholen, nirgends!
Mich irritieren aber die vielen selbsternannten FrauenrechtlerInnen, die plötzlich überall daher kommen und ohne jegliche Differenzierung die Moralkeule schwingen und diejenigen, die die Welt nicht so schwarz-weiß sehen wie sie selber, mit rassistischen Anwürfen verbal niederstrecken.
Genau diese FrauenrechtlerInnen fordern nun mich in den Sozialen Medien zu Stellungnahmen zu den schrecklichen Angriffen in Köln auf und ich solle mich gefälligst distanzieren. Warum muss ich mich distanzieren? Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit in unserem Rechtsstaat? Spielt etwa meine Herkunft eine Rolle? Muss ich mich distanzieren, weil ich mich für Integration und Chancengerechtigkeit einsetze? Woher nehmen sich diese Hetzer das Recht, mir zu unterstellen, etwas mit diesen Gräueltaten zu tun zu haben und fordern mich auf, mich zu distanzieren? Geht’s noch?
Ja, eine Vielzahl der Täter hatte einen Migrationshintergrund. Und ja, es gibt Probleme mit veralteten patriarchalischen Vorstellungen von Frauenrollen. Aber nicht erst seit der Silvesternacht. Die Verbrechen zeigen uns in all ihrer Deutlichkeit das lange nicht beachtete und ernst genommene Problem Sexismus und Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Leider nutzen Populisten den Moment aus, vermischen verschiedene Probleme miteinander und instrumentalisieren die schlimmen Ereignisse. Eine willkommene Gelegenheit für alle rechten Bewegungen und die Man-darf-doch-sagen-dürfen-Fraktion. Pegida, AfD und sogar Teileunserer demokratischen Parteien freuen sich, alle ihre Vorurteile bestätigt zu sehen.
Die Folgen sehen wir direkt: In Köln kommt es in der Nacht zu Attacken auf Ausländer. Mehrere Menschen werden schwer verletzt. Vorab wurde sich auf Facebook zu den rassistischen Taten verabredet. Bereits am Samstag demonstrierten 1700 Rechtsextremisten und Hooligans in Köln und bewarfen dabei Polizeibeamte mit Flaschen, Steinen und Knallkörpern. Der Zentralrat der Muslime klagt seit der Kölner Silvesternacht über eine immer größere Feindseligkeit, massenhafte Hassmails und Drohanrufe und spricht von einer neuen Dimension des Hasses. Warum kann bei uns so leicht die Debatte vergiftet werden?
Ich wiederhole gerne: Die Täter – egal welcher Herkunft sie sind, egal ob am Silvesterabend, Karneval, Oktoberfest oder anderswo – müssen ohne Wenn und Aber bestraft werden. Dafür haben wir die Polizei und die Gerichte. Aber es kann nicht sein, dass wir jetzt alle Geflüchtete unter Generalverdacht stellen.
Es kann nicht sein, dass Schutzsuchende, die vor Krieg, Verfolgung und Diskriminierung in unserer Vorzeigedemokratie Deutschland geflohen sind, Angst haben müssen, dass sie verprügelt, gejagt und ihre Unterkünfte in Brand gesetzt werden. Es kann auch nicht sein, dass ich mich von solch widerlichen Taten distanzieren muss.
Die konsequente und umfängliche Umsetzung bestehender Strafgesetze ist die richtige Antwort auf Köln. Natürlich muss die Polizei in Bund und Ländern auch so ausgestattet werden, dass sie ihren Auftrag wirksam erfüllen können. Dafür müssten die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.
Die weitere Verschärfung bestehender Gesetze wäre ein Zugeständnis an rechte Hetzer und Populisten, die dieses Mal im Gewand von Frauenrechtlern kommen. Und das ist die falsche Antwort. Wenn wir das tun, werden wir Getriebene und verlieren Stück für Stück unsere Freiheit.
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