„Der Sport lässt sich von Putin missbrauchen“
Sonntag wird in der Formel 1 zum ersten Mal der Große Preis von Russland ausgetragen. Grünen-Politiker Özcan Mutlu wünscht sich, dass RTL und Sky das Rennen in Sotschi nicht übertragen.
ür den Schwarzmeer-Badeort Sotschi ist 2014 das größte Sportjahr seiner Geschichte. Im Februar und März fanden hier die Olympischen Winterspiele und die Paralympics statt, am Sonntag (13.00 Uhr, RTL, Sky und Liveticker auf welt.de) steigt inmitten von Eishockey- und Shorttrack-Arenen erstmals das Formel-1-Rennen Großer Preis von Russland.
Die Stadt, Lieblingsferiendomizil von Präsident Wladimir Putin, hat sich herausgeputzt: Flaggen werben für das Gastspiel der Königsklasse des Motorsports, die Rennstrecke entlang der Küste wurde frisch asphaltiert, die Yachten glitzern bei 21 Grad Celsius mit der Sonne um die Wette.
Während sich Formel-1-Chefpromoter Bernie Ecclestone von diesem Schritt die Erschließung neuer Märkte verspricht, wächst in Politik und Sport die Kritik an der Entscheidung. Selbst im Automobil-Weltverband Fia wurden in den vergangenen Wochen Stimmen laut, die eine Absage des Rennens aufgrund der angespannten politischen Lage in der Ostukraine forderten. Doch das Rennen findet wie geplant statt. Özcan Mutlu (46), der als Sportpolitikexperte der Grünen im Deutschen Bundestag sitzt, ist davon nicht besonders angetan.
Die Welt: Herr Mutlu, am Sonntag findet in Sotschi erstmals in der Geschichte ein Grand Prix auf russischem Boden statt. Welches Signal sendet die Formel 1 mit der Entscheidung, dort trotz der angespannten politischen Lage zu fahren?
Özcan Mutlu: Das zeigt, dass der Sport, in diesem Fall die Formel 1, anscheinend käuflich ist. In Anbetracht der aktuellen Situation in der Ostukraine und dessen, was in den vergangenen Monaten dort passiert ist, finde ich es mehr als bedauerlich, dass die großen Sportverbände immer noch glauben, sich bei Wladimir Putin anbiedern zu müssen. Sie lassen sich von ihm missbrauchen. Es ist ja nicht nur die Formel 1, sondern auch die Fifa (Fußball-Weltverband – d.R.) und das IOC (Internationale Olympische Komitee – d.R.), die die Nähe zu Putin suchen. Erst vor wenigen Tagen wurde entschieden, dass bei der Fußball-EM 2020 in Sankt Petersburg gespielt wird, von der Weltmeisterschaft 2018 in Russland ganz zu schweigen. Die Sportfunktionäre haben nicht verstanden, was da gerade in der Ukraine passiert ist.
Die Welt: Was ist Ihrer Meinung nach die Alternative: Russland bei der Vergabe von Sportevents nicht mehr zu berücksichtigen?
Mutlu: Ich denke, das wäre eine Maßnahme, die Putin wirklich beeindrucken würde. Sportliche Großereignisse wie Olympia, Fußball-WM oder Formel-1-Rennen nicht mehr in Russland stattfinden zu lassen, träfe ihn mehr als die Wirtschaftssanktionen, die derzeit verhängt werden. Denn dadurch würde auch die russische Bevölkerung merken, dass die Politik ihres Präsidenten zur Isolierung vom Rest der Welt führt. Vergessen Sie nicht: Die Menschen vor Ort freuen sich auf das Formel-1-Rennen, auch die Fußballbegeisterung ist enorm. Der Verlust würde enorm schmerzen.
Die Welt: Hätten Fahrer und Teams das Rennen boykottieren sollen? Im April haben die Verantwortlichen der Superbike-WM ihr für September geplantes Rennen in Moskau kurzfristig abgesagt, weil die politische Lage zu instabil war.
Mutlu: Das ist eine vorbildhafte Entscheidung, keine Frage. Grundsätzlich halte ich einen Boykott aber nicht für die richtige Lösung, das haben die Olympischen Spiele in Moskau und Los Angeles deutlich gezeigt. Das schadet dem Sport, und das schadet auch den Sportlern. Ich plädiere vielmehr für eine Neuvergabe solcher Events, wenn es die Zeit zulässt. Die Sportverbände sind herzlich eingeladen, in Anbetracht der weltpolitischen Entwicklung ihre Stimme zu erheben. Die Formel 1 hätte ein deutliches Signal setzen können, wenn sie nächste Woche anderswo gefahren wäre. Die Winterspiele in Sotschi haben doch deutlich gezeigt, wie sehr Putin solche Events zur Eigen-PR missbraucht. Seitdem müssten eigentlich alle Verbände wissen, dass Russland derzeit als Gastgeber für große Sportereignisse absolut ungeeignet ist.
Die Welt: Die Verantwortlichen der Formel 1 und Sportfunktionäre insgesamt ziehen sich sehr gern auf das Argument zurück, Sport könne die politischen Probleme nicht lösen.
Mutlu: Diese Ausrede ist nicht nur billig, sondern auch bedauerlich. Der Sport ist autonom, und das soll auch so bleiben. Aber wer glaubt, dass Veranstaltungen wie Olympische Spiele oder Formel-1-Rennen im politikfreien Raum stattfinden, der hat nichts begriffen. Natürlich lassen sich die Gremien, die über die Vergabe dieser Events entscheiden, von der Politik beeindrucken und beeinflussen. Deswegen wendet sich der aufgeklärte Teil der Weltbevölkerung immer weiter ab. Niemand sieht es auf Dauer gern, wenn Olympische Spiele, große Fußballturniere oder Formel-1-Rennen von Politikern für deren Selbstdarstellung missbraucht werden.
Die Welt: Welche Verantwortung liegt bei den Fernsehsendern wie RTL und Sky, die das Rennen in Deutschland live übertragen?
Mutlu: Ich wünschte, sie würden das Rennen in Sotschi nicht übertragen. Damit würden sie signalisieren, dass sie erkannt haben, dass sie sich damit zum Handlanger Putins machen. Wenn sie den Großen Preis von Russland schon zeigen müssen, weil sie durch Verträge dazu gezwungen sind, dann hoffe ich auf eine aufklärende Berichterstattung, die sich nicht nur um das Geschehen auf der Rennstrecke dreht. Es liegt an Sendern wie RTL und Sky, die Hintergründe dieses Rennens für ihre Zuschauer zu entlarven: PR für Putin.
Die Welt: In der vergangenen Woche hat in Oslo der drittletzte Bewerber um die Olympischen Winterspiele in acht Jahren abgesagt. Damit steht uns 2022 ein Supersportjahr mit der Fußball-WM in Katar und Olympia in China (Peking) oder Kasachstan (Almaty) bevor. Ist das der Beweis dafür, dass es für demokratisch organisierte Länder inzwischen beinahe unmöglich ist, Sportgroßveranstaltungen auszurichten?
Mutlu: Es ist schon möglich, aber nicht unter den aktuellen Bedingungen. Wenn die Menschen heute Fifa und IOC hören, dann denken sie an Gigantismus, Umweltzerstörung, Kostenexplosionen, Intransparenz, Korruption und Vetternwirtschaft. Für demokratische Bürgergesellschaften ist das immer schwieriger zu akzeptieren. Die genannten Verbände müssen sich von innen heraus reformieren. Wenn das nicht passiert, werden auch in Zukunft die Bürger – wie in München, Graubünden oder Oslo schon geschehen – ihr Veto gegen eine Austragung einlegen. Das führt dazu, dass Olympische Spiele, Fußball-Weltmeisterschaften oder Formel-1-Rennen künftig nur noch von Oligarchen, Petro-Milliardären oder Diktaturen ausgetragen werden. Am Ende macht das den Sport kaputt.
Die Welt: Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach sagte als Reaktion auf die Absage Oslos, dass Olympia „mehr denn je ein Hochglanzprodukt“ sei. Als Beweis nannte er Fernsehstationen aus aller Welt, die Milliardensummen zahlen, um sich langfristig die Übertragungsrechte zu sichern.
Mutlu: Auch TV-Sender wie NBC (US-Olympiasender – d.R.) bekommen Probleme mit der Einschaltquote, wenn sie nur noch aus diktatorisch geführten Ländern übertragen können. Wenn der Sport sich weiter zum rein kommerziellen Ereignis degradieren lässt, wird das die Menschen dazu bringen, sich abzuwenden.
Die Welt: Was muss passieren?
Mutlu: Die Fifa hat in den vergangenen Wochen eine große Chance verpasst. Vieles deutet darauf hin, dass dort alles nach dem bekannten Muster weitergeht, Präsident Blatter will ja noch eine Amtszeit dranhängen. Dem IOC muss man hingegen bescheinigen, dass es die Zeichen der Zeit offenbar erkannt hat. Thomas Bach hat mit der Agenda 2020 einen ersten Schritt für einen inneren Reformprozess angestoßen. Ich hoffe, dass diese Reform auch ernst gemeint ist. Erst dann wird es für Städte wie Berlin oder Hamburg möglich sein, sich ernsthaft für Olympia 2024 oder 2028 zu bewerben. Unter den jetzigen Voraussetzungen werden die Bürger, und da muss ich kein Prophet sein, Nein sagen.
http://www.welt.de/sport/formel1/article133041467/Der-Sport-laesst-sich-von-Putin-missbrauchen.html
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