Mutlu heißt glücklich
Seit über 20 Jahren kämpft Özcan Mutlu für gleiche Chancen in der Bildung. Der Kontakt zu den Menschen ist ihm dabei besonders wichtig.
„Morning!“, ruft Özcan Mutlu seinen Mitarbeitern gut gelaunt zu, holt sich einen Kaffee und lässt sich in seinem Büro auf das schwarze Sofa unter der Stadtansicht von Eskisehir sinken. „Ich muss erst mal wach werden, war spät gestern Abend“, sagt er, stützt sich mit beiden Ellbogen auf den Tisch und verrührt bedächtig zwei Stück braunen Zucker in seiner Tasse. Ein paar Minuten später ist sie leer, Özcan Mutlu munter und er beginnt zu erzählen – die Worte sprudeln nur so aus seinem Mund. Er war gerade in Istanbul, beim ersten Jahrestag der Proteste im Gezi-Park. Polizisten knüppelten friedliche Demonstranten nieder, auch dem Politiker brannte das Tränengas in den Augen. Mittendrin, nah bei den Menschen – das ist sein Platz. „Du musst den Leuten zuhören, sie müssen dich anfassen können“, ist er überzeugt, „wenn du den Kontakt verlierst, dann hast du was falsch gemacht.“
Diese Gefahr besteht bei dem 46-Jährigen nicht. In seinem Wahlkreis Berlin-Mitte kann man mit Mutlu kochen oder joggen oder einfach seine Probleme bei ihm loswerden. „Manchmal bin ich dann auch der Ehe- oder Schulberater“, sagt er und grinst. Oder der Entertainer – wie beim Tanz mit einer Besuchergruppe auf dem Reichstagsdach. Seit 22 Jahren macht Özcan Mutlu Politik – erst in Kreuzberg, dann im Berliner Abgeordnetenhaus und seit letztem Herbst im Bundestag für Berlin-Mitte. Viele Berliner und noch mehr Kreuzberger kennen ihn. „Wenn ich dort unterwegs bin, begrüßt mich jeder Zweite und jeder Dritte umarmt mich“, erzählt er nicht ohne Stolz.
Als er 1973 in Berlin-Kreuzberg ankam, war alles fremd. Der Fünfjährige staunte über die hohen Häuser und die vielen Autos – das kannte er nicht aus seinem türkischen Dorf. Doch auch ohne viel Deutsch zu sprechen verstand er sich mit den Kindern auf der Straße. Warum er dennoch in einer reinen Ausländerklasse landete, wunderte den Erstklässler. Dass er trotz guter Leistungen gegen seinen Willen auf die Hauptschule gehen sollte, machte den Jungen wütend. Und wenn Mutlu von den „rassistischen Professoren“ an der Uni erzählt, wird die Furche zwischen seinen Augenbrauen noch tiefer. Aber Mutlu, dessen Name „glücklich“ bedeutet, hatte tatsächlich Glück. Engagierte Lehrer setzten sich für ihn ein. Er nutzte seine Chance und brachte es zum Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik, während Freunde aus der Grundschule als Dealer endeten. „Bildung darf aber keine Frage des Glücks sein!“ Um für gleiche Chancen in der Bildung zu kämpfen, trat er – mit neuem deutschem Pass in der Tasche – 1990 den Grünen bei. Zu sehen, wie die Mauer am Ende seiner Kreuzberger Straße fiel, das hatte ihn ermutigt: „Ich dachte mir, du musst wie die Menschen in der DDR deine Stimme erheben, dann kannst du etwas ändern.“
Die vollständige Juli-Ausgabe der Zeitschrift profil:Grün findet Ihr hier:
Profil-07-2014
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