„Das ist einer Demokratie nicht würdig“

Gastbeitrag in der Berliner Morgenpost

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei reichen Jahrhunderte zurück. 1763 wurde der erste Gesandte der Hohen Pforte, Ahmet Ibrahim Efendi, an die Spree entsandt. Heute gibt es viele wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen beiden Ländern.

Gegenwärtig leben etwa 2,7 Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen, in Deutschland. Viele von ihnen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Berlin wird als die größte türkische Stadt westlich des Bosporus bezeichnet. Knapp 270.000 Menschen aus der Türkei leben an der Spree. Vor einigen Jahren hat Ankara ein Ministerium für „Auslandstürken“ gegründet. Deutschland steht dabei im besonderen Fokus. Der Einfluss Ankaras auf die Türkeistämmigen hierzulande war immer schon groß. Auch der Einfluss von Moscheegemeinden und aus der Türkei entsandten Imame nimmt immer mehr zu. Dennoch haben die Wahlergebnisse der „Deutschland-Türken“, die 2015 erstmals an den Wahlen zur türkischen Nationalversammlung teilgenommen haben, überrascht: In der Türkei hat die Regierungspartei AKP 49 Prozent erhalten, in Deutschland 59 Prozent.

Auch wenn die Wahlbeteiligung mit 41 Prozent nicht sehr hoch war, muss uns das Ergebnis zu denken geben. Unter der AKP-Regierung gibt es keine Meinungs- und Pressefreiheit. Die Medien sind nahezu gleichgeschaltet. Kritische Stimmen werden nicht geduldet.

Andersdenkende und Oppositionelle werden traktiert und im schlimmsten Fall eingesperrt. Von Gewaltenteilung und einer unabhängigen Justiz kann nicht mehr die Rede sein. Derzeit wird ein Verfassungsreferendum vorbereitet, das zu einer Selbstentmachtung des Parlaments führt. Alle Macht im Staate soll in der Hand des Präsidenten gebündelt werden, damit wird die Exekutive, Legislative und Judikative ad absurdum geführt. Das ist einer Demokratie nicht würdig.

In Anbetracht der Wahlergebnisse für die AKP hierzulande und der hiesigen deutsch-türkischen Debatten muss man konstatieren, dass es mit der Integration der Deutsch-Türken anscheinend doch nicht so weit ist, wie wir vielleicht gedacht haben. Können jahrzehntelange Ausgrenzungserfahrungen und teilweise Diskriminierung der hier lebenden Deutsch-Türken eine Erklärung dafür sein? Oder das Gefühl, dass die eigene Kultur und Sprache von der Mehrheitsgesellschaft und Politik hierzulande nicht toleriert wird oder willkommen ist? Ist der Einfluss des türkischen Fernsehens, das hier problemlos empfangen werden kann, eine Erklärung für die Türkeifokussierung? Schließlich sind türkische Medien weitgehend gleichgeschaltet und verbreiten Regierungspropaganda. Bei seinem letzten Türkeibesuch wurde Außenminister Steinmeier sogar offen kritisiert. Der Vorwurf: Deutschland unterstütze Feinde der Türkei.

Fakt ist, die gegenwärtige Spaltung der türkischen Gesellschaft spiegelt sich mehr und mehr auch in Berlin und Deutschland wider – entweder man ist auf der Seite Erdoğans oder man ist gegen ihn. Jede auch noch so kleine Kritik an Erdoğan wird gleich als Feindschaft ausgelegt. Die Gefahr besteht, dass die extreme gesellschaftliche Spaltung und die Gewalt, die in der Türkei allgegenwärtig ist, hierher importiert werden. Auszuschließen ist das mittlerweile nicht mehr.

So gesehen ist die Diskussion über die Wiedereinführung der Optionspflicht für türkischstämmige Deutsche – wie sie die CDU/CSU fordert – absolut kontraproduktiv. Denn dabei geht es ausschließlich um die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft für Türken – nicht etwa für Deutsch-Amerikaner oder Deutsch-Iraner, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das wird von Ankara instrumentalisiert. Die Türken hier sehen sich in ihrer Erfahrung bestätigt, nicht dazuzugehören. Das grenzt an Türkenfeindlichkeit und treibt die Menschen erst recht in die Arme von Erdoğan.

Dabei müssen wir das Gegenteil tun und den Deutsch-Türken sagen: Hier ist eure Heimat und eure Zukunft. Was in Ankara beschlossen wird, zählt nicht primär, sondern das, was in Berlin beschlossen wird. Also engagiert euch und übernehmt Verantwortung für dieses Land. Bei der dritten und vierten Generation der Einwanderer müssen wir noch mehr tun, damit sie Deutschland als ihre Heimat begreifen. Dazu zählt, dass wir die Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Religionen endlich anerkennen. Wir müssen mehr deutsch-türkischen Unterricht anbieten, damit der Einfluss von Konsulatslehrern, welche von der türkischen Regierung nach Deutschland entsandt werden, minimiert wird. Gleiches gilt für Imame. Wir können nicht nur kritisieren, dass die Imame aus Ankara finanziert werden und eventuell Sprachrohr der Regierung sind, aber dem nichts Eigenes entgegensetzen. Die Alternative ist, dass wir die Imame endlich hier ausbilden. Auch das ist für die Integration der jungen Deutsch-Türken und für unser Land wichtig.

Özcan Mutlu (49) ist bildungs- und sportpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe.

http://www.morgenpost.de/politik/article209485035/Das-ist-einer-Demokratie-nicht-wuerdig.html

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