Wie steht es um die Demokratieerziehung in der Schule? Wie kann man Schüler*innen zu demokratischen, mündigen Bürger*innen erziehen? Sie anleiten oder gelungene Impulse setzten, damit sie ein Verständnis für Demokratie, Solidarität und Zivilcourage gegenüber allen Menschen entwickeln? Wie lässt sich der Zusammenhalt der multikulturellen Gesellschaft schon in der Schule stärken?
Diese Fragen treiben einen besonders um, wenn man sich zurzeit in Europa umschaut. Wohin man auch blickt, gewinnen demokratieunfreundliche Parteien an Zuwachs. Parteien, dessen Demokratieverständnis nur die Menschen einschließt, die vermeintlich „biologisch“ zu dem „eigenen Volk“ gehören. Und Menschen, die auf der Flucht sind, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, denen alles genommen wurde, gehören nicht dazu. Auf der Agenda dieser Anhängerschaft haben solche Menschen keinen Platz in Europa, keine Chance auf ein Leben in ihrer neuen demokratischen Heimat. Und das Schlimme ist: Diese rassistischen Phänomene entstehen in der Mitte der Gesellschaft, sie sind keine Randerscheinungen!
Leider finden sich auch in Deutschland immer mehr Menschen, die sich von demokratieunfreundlichen Parolen angesprochen fühlen. Die rechtsextremes Gedankengut verharmlosen und bagatellisieren. Allen voran Parteien wie die AfD, die sich selbst zum Anwalt des deutschen Volkes stilisieren möchte und die Pegida-Bewegung als pöbelnden Assistenten duldet.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass Menschen schon in der Schule, die Grundwerte der Demokratie erlernen. Die Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft ist der geeignetste Ort, um Werte auszuhandeln, zu vermitteln und zu erfahren. Wir werden nicht als Demokrat*innen geboren, sehr wohl aber zu Demokrat*innen erzogen, durch Erziehung, Bildung und nachhaltige Prozesse, die wir in Kindheit und Jugend erfahren. Das wurde von dem Bildungsforscher Prof. Dr. Wolfgang Edelstein bereits wissenschaftlich belegt. Es liegt also an uns, als demokratischer Gesellschaft, die richtigen Weichen schon in der Schule zu stellen.
Demokratie ist als Erziehungsziel in allen Schulgesetzen verankert. Damit ist die Schule durch unterschiedliche didaktische Konzepte, Wissensvermittlung von Demokratie, Teilhabe der Schülerschaft durch z.B. Schüler*innenvertretungen und den Austausch mit der Gesellschaft außerhalb der Schulmauern (Übernahme von gesellschaftlichen Aufgaben) legitimiert, demokratische Werte so früh wie möglich in den Schulalltag zu implementieren.
Schüler*innen müssen und sollen in der Schule immer wieder die Erfahrung machen, dass ihre Belange von Bedeutung sind. Dass sie mithilfe ihrer Stimme und Meinung in das Geschehen eingreifen können. Leider wird an vielen Schulen diese Beteiligungskultur bislang nur halbherzig gelebt. Dass Schüler*innen ernst genommen werden, ist jedoch ein notwendiger und nachhaltiger Erfahrungswert in der Vermittlung von Demokratie.
Auf politischer Ebene kann ein früheres Wahlrecht das Interesse und die Teilhabe der jungen Menschen fördern. Da angehende Lehrer*innen, unabhängig von ihrer Fächerwahl, in ihrer Ausbildung nicht verpflichtet sind, Demokratiepädagogik zu belegen, fehlt ihnen oft das Knowhow, um demokratische Prozesse möglich und sichtbar zu machen. Das muss sich ändern. Spätestens seit den Studien von Hattie, Prof. für Erziehungswissenschaften, ist klar, dass die Person der Lehrerin/ des Lehrers mit ihrer Vorbildfunktion den stärksten Einfluss auf die Schülerschaft hat. Das gilt ebenso für die politische Wertvermittlung.
Wegen der ersten PISA-Ergebnisse wurde in den Schulen das Augenmerk auf die Kernfächer wie Mathematik oder die Naturwissenschaften gelegt. Das Fach Politik wurde immer stiefmütterlicher behandelt. Dabei ist mittlerweile erwiesen (stellte eine Studie „Politikunterricht im Fokus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung fest), dass zwischen dem Umgang mit dem Politikunterricht in der Schule und dem politischen Engagement der Schüler*innen ein positiver Zusammenhang besteht. Gerade die Vermittlung von politischen Kompetenzen, die ja sehr wohl auch in PISA als Problemlösung oder soziale Kompetenzen abgefragt werden, ist heute wichtiger denn je. Die Etablierung des Fachs Politik muss durch die KMK gefestigt werden.
Insbesondere durch das Internet und die sozialen Medien werden undemokratischen Gedankengut Tür und Tor geöffnet, wenn nicht schon junge Menschen den Umgang, sowohl die Nutzen als auch die Risiken der Medien, in der Schule erlernen. Deshalb ist es umso dringlicher, dass Schulen Medienkompetenz fächerübergreifend in ihren Unterricht einbauen. Damit so alle Schüler*innen dazu befähigt sind, sich frei und emanzipatorisch im Internet zu bewegen.
Abschließend kann man positiv/erfreut festhalten, dass wir sehr wohl Einfluss auf eine demokratische Grundhaltung und Teilhabe unserer Kinder und Jugendlichen haben. Schule trägt essentiell dazu bei, dass junge Menschen sich zu demokratisch, mündigen Bürger*innen entwickeln, die sich gegen diskriminierende und intolerante Strömungen zu behaupten wissen.
Wir müssen endlich Schule, die ja um der Schüler*innen Willen existiert und nicht umgekehrt, und ihre immer komplexer werdenden Bedürfnisse neudenken. Und wo wäre dieser progressive Schritt sinnvoller als in Deutschland. Gerade hier ist der Begriff der Bildung untrennbar mit den Werten der Aufklärung verbunden. Schon Kant wusste, dass Bildung „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ bedeutet. In diesem Sinne muss die Schule demokratische Wertvermittlung durch Teilhabe als ihr Kerngeschäft sehen.
Verwandte Artikel
Anwerbeabkommen: „60 Jahre – Wie Deutschland zur Heimat wurde“
„Almanya nasıl Vatan oldu“ Dank der großartigen Unterstützung der Stiftung Mercator ist unser Buch „60 Jahre – Wie Deutschland zur Heimat wurde“ als ein nicht-kommerzielles Projekt zum Jubiläum des Deutsch-Türkischen-Anwerbeabkommens…
Weiterlesen »
Das Wirtschaftswunder: Kinder von türkischen Gastarbeitern erzählen über Deutschland
Der ehemalige Berliner Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu hat ein Buch über Gastarbeiterkinder herausgebracht. Das Werk soll auch an Schulen ausliegen. Das Erste, an das sich Ugur Sahin in Deutschland erinnert, ist…
Weiterlesen »
„Almanya Nasil Vatan Oldu“
Almanya ile Türkiye’nin 30 Ekim 1961 tarihinde imzaladığı “Türkiye-Almanya İşgücü Anlaşması’nın üzerinden 60 yılı aşkın bir süre geçti. Başvuruları kabul edilip Almanya’ya gitmek üzere İstanbul’daki Sirkeci Garı’ndan yola çıkanlar yalnızca kendilerinin…
Weiterlesen »