Wir Grüne wollen eine echte Verkehrswende und dass zukunftsfähige Fahrzeugtechnik in Deutschland entwickelt und produziert wird. Für uns ist die Entscheidung deshalb klar: Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden. So kann Deutschland die Klima- und Umweltziele erfüllen und die Industrie ihre Entwicklungsarbeit verlässlich auf die gesamte Elektromobilität ausrichten. Wer an Diesel- und Ottomotoren festhält, hemmt die Fahrzeugindustrie und gefährdet hiesige Jobs.
Mein Kollege Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, hat in einem sehr guten Beitrag dargestellt, wie eine Perspektive für motorisierten städtischen Straßenverkehr aussehen kann:
Alles nur Schwindel – und Elektroautos sind in Wahrheit mindestens so umweltschädlich wie Benziner und Dieselfahrzeuge? In den vergangenen Wochen wurde häufig die „Schwedische Studie“ der IVL (Swedish Environmental Research Institute) als Argument gegen die flächendeckende Einführung von elektrischen Pkw angeführt. Manches, was mit Bezug auf die IVL-Studie verbreitet wurde, hatte Fake-News-Charakter. Auf den gesamten Lebensweg betrachtet, also einschließlich Produktion und Nutzung, verursacht beispielsweise ein mit Erneuerbarer Energie betriebenes E-Auto mit einer für Pendler realistischen Reichweite von 100 km nur rund ein Drittel der CO2-Äquivalent-Emissionen eines fossil betriebenen Verbrenners. Entscheidend für den CO2-Fussabdruck des motorisierten Individualverkehrs der Zukunft wird dabei sein, welche Rolle das Automobil zumindest im städtischen Verkehr spielen wird. Zum echten Game Changer wird Elektromobilität nämlich erst als Baustein in einer digitalisierten Sharing Economy im Zusammenspiel mit Autonomem Fahren.
Schauen wir uns die Zahlen im Detail an. Herausgelöst von anderen Emissionsverursachern in der ökobilanziellen Betrachtung eines elektrischen Pkw werden in der Schwedischen Studie 150-200 kg CO2-Äquivalente/kWh für die Produktion der Lithium-Ionen Batterien veranschlagt [1, Seite 28]. Diese Zahlen haben weniger Neuheitswert, als die aktuelle mediale Diskussion vermuten lassen würde.
Vielmehr hat das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) schon im Jahr 2016 elektrische und konventionell betriebene Fahrzeuge ganzheitlich ökobilanziell miteinander verglichen [2]. Nach den Berechnungen der Studie werden durch einen Diesel-Pkw in ganzheitlicher Bilanzierung bei einer Lebensfahrleistung von 170.000 km etwa 34 t CO2-Äquivalente emittiert. Den größten Anteil davon stellen mit 60 % die direkten Emissionen aus den Verbrennungsprozessen im Straßenverkehr dar. Im Gegensatz dazu fallen bei elektrischen Pkw mit einer realistischen Reichweite von 100 km, die ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen werden, für die gleiche Lebensfahrleistung 11 t CO2-Äquivalente an. Der Beitrag der Lithium-Ionen-Batterie für einen elektrischen Pkw mit dieser Reichweite wird auf 3,7 t CO2-Äquivalente beziffert. Die kontinuierliche Integration erneuerbarer Energieträger in den nächsten Jahren ermöglicht prinzipiell den Einsatz auch größerer Batterien unter Aufrechterhaltung dieser verbesserten Klimawirkung. Weiter reduzieren lässt sich die CO2-Intensität von Lithium-Ionen-Batterien durch sogenannte Second-Life-Anwendungen. Reicht die Speicherleistung der Fahrzeugbatterie für die Anwendung im E-Auto nicht mehr aus, ist dieser nicht verbraucht sondern kann z.B. als Energiespeicher im Stromnetz noch lange Zeit sinnvoll genutzt werden [3].
Strommix entscheidend für Klimabilanz
Legt man den aktuellen durchschnittlichen Strommix in Deutschland zu Grunde, liegen elektrische Pkw mit einer realistischen Reichweite von 100 km in ihrer Klimawirkung in etwa gleichauf mit Benziner- und Diesel-Pkw [2, Seite 79]. Die Strombereitstellung aus nicht-erneuerbaren Energien ist dabei zu 68% für den Klimabeitrag verantwortlich. Das IFEU geht von etwa 140 kg CO2-Äquivalente/kWh für die Produktion der Lithium-Ionen Batterien aus.
Von einer „Umweltlüge“ aufgrund des Einsatzes von Lithium-Ionen Batterien hinsichtlich der Emissionen im Vergleich zu konventionell angetriebenen Pkw kann daher aus wissenschaftlicher Sicht nicht gesprochen werden. Vielmehr müssen die umweltpolitischen Chancen von elektrischen Pkw in Verbindung mit dem ausschließlichen Einsatz von erneuerbarer Energie gegenüber „fake news“ in den Vordergrund des politischen Diskurses gelangen und durch konzertierte wirtschaftspolitische Handlungen umgesetzt werden. Insbesondere der Größe der in großem Maß eingesetzten verwendeten Batterien in elektrischen Pkw kommt dabei kurzfristig und in den Übergangsjahren bei abnehmender Verwendung von Strom aus konventioneller Erzeugung eine Schlüsselrolle zu.
Ein zentrales Missverständnis bei der Interpretation der Zahlen aus der schwedischen Studie der IVL entsteht durch die nahezu selbstverständliche Verrechnung auf sehr große Batteriegrößen, welche derzeit aufgrund der momentanen Produktstrategie des amerikanischen Premium-Elektroauto-Herstellers Tesla auf den Markt gebracht werden. Der klassische Gedanke eines „eins-zu-eins-Ersatzes“ der deutschen Pkw-Flotte im Privatbesitz durch elektrische Pkw mit sehr großen Batterien und Reichweiten ist dabei aus umwelt- und ressourcenpolitischer Sicht fatal.
Stattdessen müssen für die zukünftige, flächendeckende Integration von elektrischen Fahrzeugen die Batteriegrößen an die tatsächlich nachgefragten Distanzen angepasst und die Vorteile durch vernetzte Mobilität und Digitalisierung in einer Sharing Economy genutzt werden. Die Botschaft lautet dabei: Hocheffizientes Sharing macht einfach mehr Spaß als ineffizient nutzbares Eigentum.
Mehr als 80 Prozent der Fahrzeuge in Städten könnten dank Sharing überflüssig werden
Aktuelle Forschungsergebnisse am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zeigen diesbezüglich, dass für den Flotteneinsatz von elektrischen und autonom fahrenden Serviceagenten („intelligente Shuttles“) Batterien mit 22 kWh für die Nahverkehrsanforderung in Städten völlig ausreichend sind und größere Batterien keine Verbesserung der Mobilität liefern [4, Seite 144]. Mit dieser Batteriegröße könnte die Anzahl der in Städten genutzten Pkw bezogen auf 1.000 Einwohner von etwa 400 Pkw auf unter 50 Serviceagenten reduziert werden – als Substitution des Individualverkehrs und unter strenger Fokussierung auf die individuelle Mobilitätsanforderung der Einwohner. Schon bei Anwendung des derzeitigen deutschen Strommix ist die für den Einsatz von Serviceagenten in Städten aufgeführte Batteriegröße aus ökobilanzieller Perspektive (Vergleich der CO2-Äquivalent-Emissionen) vorteilhaft gegenüber dem Einsatz von Benzin- oder Diesel-Pkw.
Die Zukunftsvision: Elektrische und autonome Fahrzeuge ermöglichen einen jederzeit verfügbaren, präzisen Punkt-zu-Punkt-Transport und fahren ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien. Wesentliches Merkmal dabei ist die individuell fahrtspezifisch wählbare Komfortstufe mit angepassten Preisen, welche unterschiedliche Komfortwünsche in der Bevölkerung widerspiegelt: Günstige Fahrten werden durch einfach ausgestattete Serviceagenten oder nach dem Prinzip eines Sammeltaxi verrichtet, komfortable Fahrgasträume oder die schnellstmögliche Route werden mit einem Aufpreis angeboten. Durch die Kombination der Vorteile des motorisierten Individualverkehrs mit denen des öffentlichen Personenverkehrs entsteht eine Mobilitätsalternative, deren klimapolitischer Hebel die Aggregation zu elektrifizierten Flotten ist.
Ein Vorteil durch die Sharing Economy ist dabei die Möglichkeit der Bezahlbarkeit einer technischen Innovation, die mit einer sozialen Innovation einhergeht: Einerseits können neuartige Fahrzeugarchitekturen und benötigte Infrastrukturen refinanziert werden, welche den hohen Anforderungen des täglichen Betriebs von Serviceagenten entsprechen. Das hochwertige aber kostenintensive Verkehrsmittel wird durch eine verteilte gesellschaftliche Nutzung zu günstigen Fahrminuten angeboten. Andererseits kann ein attraktives, ökologisch motiviertes Elektromobilitätsangebot aufgrund eines individuell wahrgenommenen Komfortzugewinns zu einem veränderten Mobilitätsverhalten in der Bevölkerung führen.
Die aus dem Einsatz dieses neuen Massenverkehrsmittels resultierende Entnahme parkender Fahrzeuge aus dem Stadtbild hätte eine Wiederfreigabe großer Verkehrsflächen zur Folge. Diese könnten für den Ausbau des Radverkehrssystems oder schlicht zur Aufwertung städtischer und verdichteter Räume genutzt werden.
Die Weichen müssen in der nächsten Legislaturperiode gestellt werden
Aufgrund der geringen benötigten Fahrzeuganzahl und den vergleichsweise kleinen Batterien stellen elektrische und autonom fahrende Serviceagenten ein hochattraktives Szenario für eine umfassende Integration von Elektromobilität im urbanen Straßenverkehr dar. Im Hinblick auf die anstehende Legislaturperiode muss es daher Ziel sein, die technologischen Komponenten für diese massentaugliche, aber ökologische und „individualöffentliche“ Mobilitätsdienstleistung zur Marktreife weiterzuentwickeln und das Konzept Realität werden zu lassen. Durch eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung könnten konventionelle Nutzungsmuster des derzeitig hochgradig ineffizient organisierten motorisierten Individualverkehrs aufgebrochen werden und die Elektromobilität im Straßenverkehr zum alltäglichen Gut heranreifen.
Quellen:
1) IVL Swedish Environmental Research Institute: The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries, Stockholm, 2017
2) Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (IFEU): Weiterentwicklung und vertiefte Analyse der Umweltbilanz von Elektrofahrzeugen (Schriftenreihe: Texte 27/2016), Dessau-Roßlau, 2016
3) Erneuerbareenergien.de, Second-Life-Großspeicher geht ans Netz, Version: September 2016. https://www.erneuerbareenergien.de/second-life-grossspeicher-geht-ans-netz/150/436/97859/, Abruf 13.09.2017
4) Schmidt, Arwed: Flottenbetrieb von elektrischen und autonomen Serviceagenten im städtischen Personennahverkehr, Karlsruher Institut für Technologie, Dissertation, 2016
Über die Autoren:
Dieter Janecek ist wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion sowie Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und Energie sowie für die Digitale Agenda. Privat fährt er E-Auto und ein E-Bike.
Arwed Schmidt ist promovierter Wirtschaftsingenieur und Elektromobilitätsenthusiast.
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