Inklusion: Teilhabe ist unteilbar!

Vielfalt ist kein Fetisch sondern ein Faktum, daran sollten wir uns gewöhnen. Tun wir es nicht, scheitert die Inklusion. Ich bin davon überzeugt: Teilhabe ist unteilbar. Sie ist es nicht nur für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, sondern sie ist es für alle Kinder und Jugendlichen, die von Exklusion bedroht oder betroffen sind. Eine Bildungspolitik, die sich der Inklusion verpflichtet fühlt, sorgt deshalb in gleichem Maße für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, wie sie auch für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen und Hochbegabungen sorgt. Sie sorgt für ethnokulturelle Gerechtigkeit, für Geschlechtergerechtigkeit und bemüht sich um sozio-ökonomische Chancengerechtigkeit. Sie schließt Sexismus und Diskriminierungen in den sexuellen Orientierungen aus, lässt Diversität in den sozialen Lebensformen zu und stärkt Antirassismus. Für mich ist Inklusion deshalb mehr: Sie ist für mich eine Politik des „no child left behind“, des „kein Kind Zurücklassens“. Sie ist für mich der Königsweg zu mehr Bildungsgerechtigkeit.

Inklusion geht dabei von der Prämisse aus, dass Kinder und Jugendliche ganz grundsätzlich verschieden sind. Wenn mir entgegengebracht wird, dass ein Kind mit geistiger Behinderung nicht die gleichen Lernleistungen erbringen kann, wie ein Kind ohne geistige Behinderung, dann stimmt das natürlich. Es kann aber am gleichen Lerngegenstand lernen und Leistungen erbringen, die seiner Entwicklung entsprechen. Wir müssen uns endlich von einem Leistungsbegriff verabschieden, der alle Schülerinnen und Schüler über einen Kamm schert. Von einem Leistungsbegriff, der davon ausgeht, dass alle Kinder und Jugendlichen im gleichen Tempo die gleichen Lerninhalte bearbeiten können und müssen. Und wir müssen uns endlich klar machen, dass Kinder nur wirklich dann etwas gelernt haben, wenn es im Langzeitgedächtnis abgespeichert und dementsprechend geübt und wiederholt wurde. Dass es fatal ist, Kinder und Jugendliche lediglich mit Wissensbeständen abzufüllen, die sie dann sofort wieder vergessen.

Vielerorts herrscht nämlich noch immer eine Vorstellung von kindlicher Entwicklung und kindlichem Lernen vor, die längst überholt und zutiefst ideologisch ist. Schule in Deutschland war und ist immer auch geprägt von der Vorstellung, dass man die unterschiedlichen Begabungen zugunsten einer Einheitlichkeit in verschiedenen Schulformen auflösen könne. Noch immer wird Vielfalt als Grundlage unseres Menschseins nicht akzeptiert und noch immer werden Kinder und Jugendliche nach Begabungen sortiert. Sie lassen sich aber nicht einfach so sortieren, denn sie haben alle unterschiedliche Eigenheiten und Bedarfe, eigene Stärken und Schwächen.

Die Grenzen in unserem bestehenden System sind deshalb vor allem Grenzen in den Köpfen politisch handelnder Personen oder von Verbandsfunktionären. Es sind aber auch Grenzen in den Köpfen von Lehrerinnen und Lehrern oder Eltern, die für dieses „Neue“ – Vielfalt als Faktum und Inklusion – schlicht und ergreifend noch keine neuen Verhaltensweisen erlernt haben. Beides muss man ernst nehmen, beides lässt sich aber mit dem Lauf der Zeit ändern. Wir dürfen die Lehrerinnen und Lehrer bei dieser Mammutaufgabe nicht alleine lassen. Handlungskompetenz ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Selbst-, Sozial-, Methoden- und Fachkompetenz. Bildungspolitik muss Lehrerinnen und Lehrer deshalb in die Lage versetzen, Kompetenzen weiterzuentwickeln und auszubilden, die für eine Weiterentwicklung unseres Bildungssystems hin zu einem inklusiveren, gerechteren und leistungsfördernden Bildungssystem bedeutsam sind. Dass wir unser Bildungssystem in dieser Frage weiterentwickeln müssen, steht für mich außer Frage.

Es ist an der Zeit, Vielfalt als Tatsache anzuerkennen und mit dieser Vielfalt positiv zu arbeiten. Inklusiver Unterricht muss der Regelfall sein und nicht die Ausnahme bleiben. Inklusion sollte als das verstanden wird, was sie ist: Als Theorie und Praxis der Teilhabe für mehr Bildungsgerechtigkeit.

Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. Die Rechte von Menschen mit Behinderung müssen umfassend gewahrt, geschützt und realisiert werden und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft. Wir werden uns weiter für die umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einsetzen und streben Inklusion und Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen an. Sicherung der Selbstbestimmung und eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe genießen dabei Priorität.

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