Kommunalwahlrecht für Alle!

Ich war gerade mal 11 Jahre alt, als ich das nachfolgende Plakat zum ersten Mal an Häuserwänden in Kreuzberg wahrgenommen habe. Seither sind viele Jahre vergangen. 1990 gab es einen Hoffnungsschimmer, als das Bundesland Schleswig-Holstein mit einem Vorstoß zum Kommunalwahrecht für Ausländer*innen aus der Reihe tanzte. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 9. Februar 1989 wollte das Bundesland Angehörigen der Staaten Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden und Schweiz, die seit mindestens fünf Jahren legal im Inland leben, erlauben, an Gemeinde- und Kreiswahlen teilzunehmen. Mit Urteil vom 31.Oktober 1990 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das besagte Gesetz jedoch für unvereinbar mit dem Grundgesetz (GG). Konkret sah das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Das „Volk“, das nach dieser Vorschrift in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine gewählte Vertretung haben muss und von dem nach Art. 20 Abs. 2 GG alle Staatsgewalt ausgeht sowie bei Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt, ist nur das deutsche Volk, als Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland.

Das Grundprinzip von Demokratien ist es, dass diejenigen an Wahlen teilnehmen und eine Entscheidung treffen, die vom Ausgang der Entscheidungen direkt und indirekt betroffen sind. In der Praxis ist es aber so, dass in unserem Land ein Teil großer der Bevölkerung die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und aus Drittstaaten stammen, von der demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Das betrifft in Berlin auch die Wahlen zu der Bezirksverordenetenversammlung (BVV) in den 12 Bezirken. Dieser demokratische Ausschluss betrifft mehrere hunderttausend Menschen in Berlin. Insbesondere bei Entscheidungen auf kommunaler und lokaler Ebene sollte aber die Staatsbürgerschaft keine notwendige Voraussetzung sein, um mitentscheiden zu dürfen. Von Entscheidungen zu Radwegen, Jugendarbeit oder Kulturangebot sind nämlich alle Bewohner*innen eines Bezirks in gleicher Weise betroffen, egal, ob sie Deutsche, EU- oder Drittstaatsangehörige sind. Lediglich EU-Bürger*innen ist es erlaubt, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Demnach dürfen EU-Bürger*innen in Berlin bei den BVV-Wahlen mitwählen. Dieses Recht wurde 1992 mit Vertrag von Maastricht eingeführt und erlaubt in der gesamten Europäischen Union, EU-Bürger*innen an den Kommunalwahlen ihres Hauptwohnsitzes teilzunehmen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie sich befinden. Das gilt nicht zu den Wahlen zum Deutschen Bundestag oder den Landtagen bzw. Abgeordnetenhaus von Berlin.

14 der 28 EU-Mitgliedstaaten erlauben bestimmten Gruppen von im Land lebenden Drittstaatsangehörigen die Teilnahme an kommunalen Wahlen. Diese Staaten sind Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien und Ungarn. Die EU-Staaten, die Drittstaatsangehörige von der Wahlteilnahme ausschließen, sind Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Malta, Österreich, Polen, Rumänien, die Tschechische Republik, Zypern und Kroatien.  

Repräsentationsdefizite machen die parlamentarische Demokratie angreifbar. Ein demokratisches Miteinander muss die Voraussetzungen für sein Fortbestehen immer wieder neu schaffen und Ausschlüssen und Repräsentationsdefiziten in den eigenen Strukturen entgegenwirken. Eine vielfältige Gesellschaft muss sich auch in ihren demokratischen Institutionen und Einrichtungen abbilden. Deshalb will ich – wie es bei EU-Bürger*innen bereits seit Jahren Praxis ist – die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige, die ihren Lebensmittelpunkt bei uns haben und dauerhaft in Deutschland leben. Diese urgrüne Forderung möchte ich – neben unserer Forderung zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre – wieder in den Mittelpunkt stellen und mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass alle Menschen am demokratischen Willensbildungsprozess teilnehmen können, die in Deutschland leben. Was für Antonella und Antonio gilt, muss auch für Ali und Ayse gelten!

Denn Repräsentationdefizit führt zu einem eklatantem Demokratiedefizit. Deshalb ist es notwendig, 30 Jahre nach dem Urteil des Bundeverfassungsgerichts, wonach nur diejenigen ein Wahlrecht haben, die dem Grundgesetz nach Deutsche sind, eben dieses Urteil auf den Prüfstand zu stellen und gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Realität und Normalität der Einwanderungsgesellschaft – welche wir längst sind – mit dem Kommunalwahlrecht für Ausländer*innen bzw. Drittstaatsangehörige, auch in unseren Gesetzen abzubilden. Insgesamt 52 Länder weltweit erlauben legal im Lande lebenden Ausländer*innen generell die Wahlbeteiligung, zumeist bei Kommunal-, Bezirks- oder Provinzwahlen jedoch nicht auf nationaler Ebene.

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